Du bist Ingenieurin, Informatikerin, Medizinerin oder Naturwissenschaftlerin.
In der Zeitung liest du über den Mangel an potentiellen Arbeitskräften – die Schwierigkeiten die Firmen haben, passende Mitarbeiter zu finden.
Dein Unternehmen wächst stetig, die Aktionäre freuen sich über konstante Dividenden, du bist in einer Zukunftsbranche tätig und wirst regelmässig von Rekrutern kontaktiert.
Ganz ehrlich – warum sollte man da sich mit dem Thema Kündigung auseinandersetzten?
Das ist doch ein Karriereratgeber – wir MINT-Frauen möchten nach oben, unsere Ziele erreichen – und uns nicht mit den Sorgen der Anderen beschäftigen.
Vielleicht sind wir durch die langjährige Arbeitslosigkeit des ehemals erfolgreichen Vaters – tätig als Verkaufsleiter in der DACH-Region eines internationalen Unternehmens – besonders sensibel.
„Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein ökonomisches Problem, dies ist eine gesellschaftspolitische Herausforderung allerersten Ranges, und sie geht jeden von uns an.“
Helmut Kohl
Aber in den letzten Monaten häufen sich die Bekannten, die entlassen wurden. Die Gründe sind unterschiedlich.
Die Firmenstrategie wird geändert. Fehler kommen ans Tageslicht. Die Ideen der Frau zu kreativ und das Unternehmen zu konservativ. Projekte werden neu gewichtet oder gänzlich eingestellt. Das Start-up ist pleite. Wir haben eine Krise. Coronakrise. Es gab persönliche Konflikte zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Oder der Standort musste schliessen.
Es traf erfolgreiche Mitarbeitende und weniger Erfolgreiche. Manager aber auch einfache Angestellte. Es traf äussert beliebte und umgängliche Menschen, aber auch Eigenbrötler. Frauen sowie Männer. Die Charaktere und Persönlichkeiten, die es traf sind ganz unterschiedlich.
„Der Abschied von einer langen und wichtigen Arbeit ist immer mehr traurig als erfreulich.“
Friedrich Schiller
Wir haben die Erkenntnis, es kann jeden treffen, hautnah erlebt. Du hast jahrelang die Ziele mehr als erreicht, hast Karriere gemacht, hast dich aufgeopfert für die Firma und fühltest dich unverzichtbar, aber aufgrund der strategischen Neuausrichtung des Unternehmens musst du gehen. Ohne grosse Vorwarnung. Ohne Rücksicht. Wie hart es dich trifft, interessiert nicht.
Dass mein Vater eine junge Familie zu ernähren hatte, ein Haus gekauft, die Frau – meine Mutter – wie damals üblich – daheim, spielte keine Rolle. Das Thema Arbeitslosigkeit war ein Tabuthema. Nachbarn, Freunde und Bekannte waren überfordert. Die Schule auch. Wir verheimlichten und litten.
„Abschiede sind Tore in neue Welten.“
Albert Einstein
Viele meiner Bekannten gehen deutlich besser mit der Entlassung um, haben sie noch keine eigene Familie oder einen gutverdienenden Akademiker als Partner.
Die Situation ist also deutlich entspannter.
Und trotzdem – es tut weh. Der Jobverlust ist eine soziale Ausgrenzung und die kann auch körperlich schmerzen. Von einer Gruppe ausgeschlossen zu werden, kann wie ein plötzlicher Schlag in die Magengrube wirken.
Die Angst vor dem Gesichtsverlust, sich vor Kollegen, Familie und Freunden rechtfertigen zu müssen. Dazu die Angst vor finanziellen Einbussen und der Verzicht auf gewohnte Annehmlichkeiten.
„Weine nicht, weil es vorüber ist, sondern lächle, weil es schön war.“
Gabriel García Márquez
Wie verkaufe ich mich in einem künftigen Vorstellungsgespräch, wie erkläre ich die Kündigung? Muss ich das? Wie geht man da vor? Viele Fragen.
Da tröstet auch die Aussicht auf eine potentielle Weltreise oder die Zeit um private Projekte zu verwirklichen nur wenig. Es schmerzt.
„Ich lerne, wenn ich gescheitert bin und nicht wenn ich Erfolg hatte.“
Reinhold Messner
Auch bekannte Führungskräfte haben Schwierigkeit souverän auf eine Entlassung zu reagieren. Viele Manager haben nicht gelernt, mit Macht umzugehen.
Doch Macht ist etwas Geliehenes und Vergängliches. Die Position ist nicht dazu da, das Selbstbewusstsein zu stärken, Privilegien zu geniessen und sich als etwas Besseres zu fühlen. Sondern soll einzig dazu dienen, die Arbeitskraft und die Fähigkeiten zum Wohle des Unternehmens einzusetzen sowie seine Mitarbeiter zu entwickeln, fördern und unterstützen. Sagt sich einfach.
Selbstwertgefühl und beruflicher Erfolg muss man insbesondere in einer solchen Position trennen. Aber wer kann das so einfach. Über viele Jahre hat man sich nur mit der eigenen Karriere beschäftigt, sich mit der Firma identifiziert. Die Freizeit genutzt, um sich weiterzubilden. Der Job hatte höchste Priorität.
Und warum schreiben wir das?
Um aufzuzeigen, dass niemand davor gefeit ist, in seinem Leben einen Jobverlust zu erleiden. Jeder kann arbeitslos werden.
Um vorbereitet zu sein.
Um zu lernen, Selbstwertgefühl von Karriere zu trennen.
Um Hobbies oder Aufgaben zu haben, die uns erfüllen.
Damit wir nicht urteilen.
Damit wir uns hineinversetzten in die Person, die es getroffen hat.
Damit wir offen sind für die Sorgen der Menschen.
Damit wir unterstützen. Ehrlich sind. Und Arbeitslosigkeit verdammt nochmal kein Tabuthema und Stigma bleibt, für das man sich schämen muss.
Arbeitslos. Und was mache ich, wenn es mich trifft?
1) Sofortmassnahmen
A) Sei traurig. Lasse deine Gefühle, deine Enttäuschung zu. Sei wütend. Schreie laut. Und suche dir Freunde und Familie, die dir zuhören.
B) Zunächst einmal hast du eine Kündigungsfrist, abhängig von der Betriebszugehörigkeit. Kläre ab, wie lange deine Kündigungsfrist ist.
C) Arbeitslosigkeit anmelden.
Du lebst in Deutschland, melde dich bei der Agentur für Arbeit.
Du lebst in Österreich, melde dich beim AMS.
Du lebst in der Schweiz, melde dich beim RAV.
D) Bist du ein quakender Frosch? Nein, du bist ein Adler. Du entscheidest selbst, ob du dich ärgern möchtest. Du verschwendest nicht deine ganze Energie in Klagen. Du übernimmst Verantwortung. Du lässt dich nicht entmutigen.
2) Mittelfristige Massnahmen
A) Spreche mit möglichst vielen Leuten darüber. Freunde, Familie, Studienkollegen, Arbeitskollegen, Bekannten, Nachbarn. Auch Fremden. Das hilft dir, um mit deiner Situation umzugehen und für das Thema zu sensibilisieren.
B) Hast du Reserven auf deinem Konto? Was hast du gespart? Was ist dein Netto-Wert? Analysiere deine Fixkosten. Reduziere deine Ausgaben. Versuche deinen Notgroschen so spät wie möglich anzufassen. Mache dir einen Finanzplan. Hilfe findest du beispielsweise bei Madame Moneypenny oder oder bei Mr. Money Mustache.
C) Bitte deinen Arbeitgeber, um ein Arbeitszeugnis für die Zeit deiner Anstellung. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein Arbeitszeugnis wohlwollend und wahrheitsgetreu auszustellen. Bei Unstimmigkeiten, hake nach.
D) Aktualisiere deine Bewerbungsunterlagen. Informiere dich über aktuelle Standards in deinem Bereich. Erstelle ein Grundgerüst für deinen Lebenslauf, den du dann schnell anpassen kannst. Schöne LaTeX-Vorlagen für deinen CV findest du bei Overleaf.
E) Analysiere dich.
Möchtest du eine ähnliche Position oder nutzt du die Kündigung, um etwas Anderes zu wagen?
Möchtest du weiter Angestellter sein oder möchtest du dich gar selbständig machen? Gibt es da etwas, was in dir brennt – was du schon immer machen wolltest?
Was kannst du? Was machst du gerne? Wo sind deine Stärken?
Was für Stellen gibt es überhaupt? Gibt es Literatur, die ich dazu lesen kann?
Wenn du Biologin oder Biotechnologin bist können wir dir <<Career Opportunities in Biotechnology and Drug Development>> sehr empfehlen.
Schreibe dir deine eigenen Stellenausschreibungen. Wie sieht dein Traumjob aus. Welche Fähigkeiten bringst du mit und integriere sie in deine Ausschreibung. Schreibe nieder, was du gerne machst. Schreibe mindestens drei Stellenausschreibungen. Warum? Du wirst flexibler. Du hast später viel mehr Möglichkeiten. Und du weisst genau, nach was du suchen musst.
F) Mache einen Strategieplan.
Wie gehst du vor? Was möchtest du erreichen? Wie viele Bewerbungen kannst du realistisch pro Woche/ pro Monat strukturiert schreiben? Setzte dir smarte Ziele. Ziele, die du erreichen kannst. Habe kurzfristige und langfristige Ziele.
Stelle dir Fragen wie: Wie komme ich zu einer neuen Stelle? Welche Jobportale kenne ich? Gibt es Networking-Anlässe? Gibt es freie Stellen, in den Unternehmen meiner Bekannten? Welche Jobmessen finden bald statt? Ist mein LinkedIn Profil auf dem neuesten Stand? Gibt es Unternehmen, die mich besonders interessieren? Wie schreibt man eine Initiativbewerbung?
G) Fokus, Fokus, Fokus. Einhalten deines Strategieplans. Und natürlich bewerben.
Passe deinen Lebenslauf und dein Anschreiben bei jeder Bewerbung neu an die Stellenausschreibung an und verändere die relevante Berufserfahrung sowie deren Gewichtung.
H) Halte deine Morgenroutine weiterhin ein.
Strukturiere deinen Tag. Eine feste Tagesplanung hilft dir dabei, deine Jobsuche voranzutreiben. Für deine Arbeitssuche solltest du etwa drei bis vier Stunden am Tag einplanen.
I) Bilde dich weiter. Lese Fachzeitschriften. Abonniere Newletter aus deiner Industrie. Wer in der Biotech-Branche tätig ist, dem können wir Aspen, BIOINSIGHTS, BioPharma Reporter, BioProcess International, FierceBiotech empfehlen.
Lerne programmieren. Besuche ein Museum oder melde dich für einen vhs-Kurs an.
Lese Bücher zur persönlichen Entwicklung, Beruf & Karriereratgeber, Kommunikation & Soft Skills, Achtsamkeit, Technologie & Zukunft oder Unternehmertum.
Registriere dich für Blinkist Basic und erhalte jeden Tag kostenlosen Zugang zu einem von Blinkist ausgewählten Titel.
Schreibe dich für einen Onlinekurs oder MOOC (Massive Open Online Course) ein. Eine Übersicht über verschiedene Anbieter findest du beim STUDYBEES MAGAZIN oder über das online-Kurs Suchportal Edukatico.
J) Gestalte dir deine freie Zeit.
Insbesondere in schwierigen Zeiten ist es wichtig, seinen Leidenschaften nachzugehen. Gönne dir schöne Momente. Probiere etwas aus. Fange an dein Brot selbst zu backen. Gehe auf den Wochenmarkt und koche Marokkanisch. Lerne eine neue Fremdsprache. Übe Klavier oder Geige. Mache Sport. Gehe tanzen. Mache, was dir gefällt. Achte aber darauf, dass dein neues Hobby im überschaubaren finanziellen Rahmen liegt.
K) Bewahre deine Bewerbungsunterlagen (Bewerbungsschreiben, Stellenangebote, Absagebriefe usw.) strukturiert auf.
Deine Personalberaterin oder -berater von der Agentur für Arbeit, vom AMS oder RAV wird dich sicherlich danach fragen.
Ausserdem kannst du so deine Bewerbungen immer weiter verfeinern und optimieren.
3) Langfristige Massnahmen
A) Nicht aufgeben. Setze deine Pläne um. Verbessere dich. Kontinuierlich.
B) Freunde und Bekannte als Berater. Die haben zwar keine Antworten, aber stellen dir Fragen – berufsrelevante, aber auch private Fragen. Egal. Durch den Austausch entstehen Ideen. Die Ideen haltet ihr – am besten auf Papier – fest. Kombiniert und spinnt gemeinsam weiter. Zusammen entwickelt ihr Lösungen.
C) Hast du an Zeitarbeitsfirmen gedacht?
Auch Firmen wie Randstand bieten Jobs im IT, Ingenieurwesen und Technik sowie im Life Science Bereich an.
D) Bist du in einem Berufsverband? Gibt es in deinem Bereich eine bekannte Gesellschaft oder ein Netzwerk?
Falls du aus dem Bereich der chemischen Technik und Biotechnologie kommst solltest du bei der DECHEMA Mitglied werden.
Du bist mutig – frage doch nach einer Einladung in den örtlichen Rotarier-Club.
E) Gehe zu Jobmessen.
Gehe auf Networking-Anlässe. Du bist im Life-Science Bereich tätig und lebst in der Schweiz. Dann können wir den Bio-Technopark After Work Networking Aperitif empfehlen.
Gehe zu Karrieremessen. Besuche vielleicht auch eine Messe, die speziell auf Frauen zugeschnitten ist, wie z.B. die herCAREER.
F) Du kannst es. Du bist eine Expertin in deinem Feld.
Noch nicht. Dann werde es.
Werde Blogger, halte Vorträge oder engagiere dich freiwillig in einem Verein. Werde kreativ.
Du hast einen Background in Biologie oder Medizin. Vielleicht kannst du das Women’s Brain Project unterstützen.
G) Freiberufler.
Als MINT-Frau? Ist man da nicht Angestellter?
Wir glauben du kannst viel mehr.
Was machst du in deiner Freizeit gerne? Welche Soft-Skills bringst du mit? Hast du schon einmal daran gedacht, Schüler oder Studierenden Nachhilfe zu geben? Vielleicht könntest du mit deinem technischen Wissen gar eine Firma beraten oder eigene Webapplikationen entwickeln?
Du kannst dich auch bei einer Freelancer-Webseite anmelden. Upwork ist beispielsweise ein Netzwerk für in englischsprachigen Ländern tätige Freelancer. Eine Alternative dazu ist guru.
H) Lasse dich umschulen.
Du wolltest dich schon immer wissenschaftlich vertiefen – mache einen PhD. Du bist mehr praktisch veranlagt – absolviere eine Ausbildung. Generell bist du mit deinem Bereich zufrieden – mache eine Weiterbildung. Dir fehlen wirtschaftliche Kenntnisse – vielleicht interessiert dich ein MBA-Programm. Deine Erstausbildung ist nicht zukunftsträchtig – stürzte dich in ein Zweitstudium.
I) Und das Wichtigste: Gib nicht auf!
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